Es war so Mitte der 70er-Jahre da stand ich wie alle in meinem Alter vor der Frage: Was zum Teufel willst Du nur werden? Da gab es die „gestandenen“ Berufswünsche eines Jungen wie Feuerwehrmann, Lokführer oder Busfahrer.
Ich wollte nur ein´s nicht: Jeden Tag von morgens bis abends das Gleiche tun.
So erschien mir dann irgendwann ein „Job“ bei der NVA gar nicht so schlecht, wusste ich doch von meinem Vater, dass es bei ihm nie langweilig war.
Also meldete ich mich dann auch bei der Frage, wer würde denn zur Armee wollen und die Sache kam in´s Rollen.
Natürlich wurde man auf diesem Weg nicht allein gelassen, galt es doch, den raren Offiziersnachwuchs zu hegen und zu pflegen. Deshalb begann auch relativ schnell die Betreuung durch das Wehrkreiskommando. Dadurch bekam die ganze Sache einen höchstoffiziellen Anstrich, was sich auch gleich in einem hochoffiziellen „Titel“ manifestierte: ich wurde ein Berufsoffiziersbewerber (ein „BOB“). Die BOB´s unserer Schule waren dann in einem Berufsoffiziersbewerberkollektiv zusammengefasst, für die Aufnahme in Selbiges gab es selbstverständlich auch eine Urkunde.
Für die Mitglieder des Bewerberkollektivs gab es regelmäßig durchaus interessante Veranstaltungen, wie Truppenbesuche, Foren mit Offiziersschülern und Offizieren, Gesprächsrunden, Museumsbesuche. Das half, entweder das Berufsmotiv zu festigen oder die Überlegung anzustellen, ob es denn nicht doch günstiger wäre, was anderes aus seinem Leben zu machen. Letztere Gedanken waren natürlich nicht so gern gesehen, aber zu diesem Zeitpunkt noch relativ folgenlos.
Bezirksfacharztkommission
Am 26.01.1977 musste ich dann, wie alle Berufsoffiziersbewerber zur medizinischen Untersuchung bei der sogenannten Bezirksfacharztkommission, welche erstmal grundsätzlich feststellte, ob jemand überhaupt gesundheitlich in der Lage war, in der NVA zu dienen.
Mein „Corpus delicti“ (oder so ähnlich) schien bei den „Göttern in weiß“ keinen schlechten Eindruck hinterlassen zu haben, denn zum Abschluss des Tages fragte man mich, ob ich nicht Lust und Laune hätte, irgendein „Militärflieger“ zu werden. Ein was???
Tja, meine Gesundheit wäre wohl soweit o.k., dass sie mir den Vorschlag machen, zur Erstuntersuchung an das „Institut für Luftfahrtmedizin“ (ILM) im sächsischen Königsbrück zu fahren, um mich dort der „FMK“ (der „Flugmedizinischen Kontrolle“) zu stellen. Naja unbedarft und fern aller Vorstellungen hab ich erstmal zugestimmt.
Fliegen, das war zwar eine Sache von der ich schon gehört hatte, aber so richtig hatte ich mich mit diesem Thema noch nicht beschäftigt. Ich war also ein echter Späteinsteiger, bin aber vom Virus „fliegen“ genauso befallen worden, wie jene, die schon im Kinderwagen täuschend echt das Triebwerksgeräusch einer MiG nachmachen konnten.
Naja, die Frage MiG oder nicht stand ja so noch gar nicht, musste ich doch erst die Erstuntersuchung „überleben“.
Institut für Luftfahrtmedizin
Flieger unterlagen jederzeit strengen medizinischen Kontrollen. Die Gesundheit und die körperliche Leistungsfähigkeit der Piloten stand stets an vorderster Stelle, so dass immer ein großer Aufwand für deren Gesundheitskontrollen betrieben wurde. Ohne die Flugmedizinische Freigabe durfte kein Pilot die Maschine besteigen! Im Flugbuch war jederzeit die aktuelle und unterschriebene Freigabe der FMK eingetragen.
Kernobjekt der Flugmedizinischen Kontrolle, abgekürzt FMK, war das Instistut für Luftfahrtmedizin (ILM) in Königsbrück. Der Ort Königsbrück in der Nähe von Dresden ist für jeden Flieger vom ersten Tage seines Fliegerlebens an ein ständiger Begleiter gewesen, und dabei oftmals nicht nur ein guter.
Für Offiziersbewerber der Laufbahn Militärflieger begann der erste ernsthafte Schritt in das Leben einen NVA-Piloten mit der ersten FMK, im allgemeinen im Alter von ca. 17 Jahren. Auf dem Programm stand eine ganze Woche das ILM in Königsbrück, wo unsere Gesundheit von grundauf überprüft und strengen Tests unterzogen werden sollte. Kein Mensch kann sich heute vorstellen, was an einem Körper so alles dran und zu testen ist!
Die Dienststelle (das ILM ist natürlich ein militärisches Objekt) ist eine gute halbe Stunde Fußmarsch vom Bahnhof entfernt. Meist betäubte man seine erste Aufregung erst einmal in der marktplatznah gelegenen Gaststätte „Schwarzer Adler“ (liebevoll „Toter Vogel“ genannt) mit einigen Bieren, obwohl das natürlich rein grundsätzlich nicht gut war. Das Gebäude des ILM war im Wald versteckt, wobei daran hauptsächlich der seit vielen Jahren gewachsene Baumbestand Schuld hatte, mithin war es eine sehr schöne Anlage aus den 50er Jahren. Schade nur, dass für uns zukünftige Flieger so viel vom Bestehen der Tests abhing. Ein Auge für die Umgebung konnten wir im allgemeinen nicht erübrigen.
Am 11.09.1979 erreichte mich dann eine Einladung des Wehrkreiskommandos zur Teilnahme am Zulassungsverfahren vom 30.09.-05.10.1979 und so stand ich dann mit der Tasche in der Hand erwartungsvoll vor dem Tor der „heiligen Hallen der Flugmedizin“ – und mit mir ca. 100 Gleichgesinnte.
Es ging dann auch recht locker zu, wir wussten ja alle nicht, was uns erwartet. Die ganze Veranstaltung war für eine Woche geplant, zumindest für diejenigen, die alle Tests bestanden und nicht schon vorher die Heimfahrtkarte in die Hand gedrückt bekamen. In diesem Sinne hatte ich mich bei meinen Eltern auch mit „bis morgen“ verabschiedet und dem Hinweis, wenn ich erst am Freitag zurückkäme, sehe die ganze Sache dann doch schon recht positiv aus.
Untergebracht waren wir damals in einer total „vermückten“ Holzbaracke, bei der die Wände so dünn waren, dass sich jedes Niesen von selbst verbot. Ich kann aber jetzt schon vorwegnehmen, dass der „Hotelstandard“ mit jedem Jahr etwas besser wurde. Die Baracke war wirklich nur für die „Bewerber“ da.
Nun ging´s also am Montag los. Antreten in aller Frühe, Bekanntgabe des Tagesprogramms, Frühstück und dann begab sich die Masse zu den Untersuchungen. Langes Warten vor den einzelnen Fachbereichen war angesagt, mussten doch alle überall hin.
Medizinische Tests
Und da hielt sich ja immer die Anekdote, dass Jemand auf die jugendlich unbekümmerte Idee kam, in das Urinproberöhrchen Apfelsaft zu füllen und das randvoll. Damit ging´s dann zur Schwester zum Abgeben. Auf ihre Bemerkung, das sei doch zu voll, setzte der junge Mann das Röhrchen an und nahm einen Schluck…
Ob Dichtung oder Wahrheit, an sich keine schlechte Idee in dem Alter.
Die späteren Nachuntersuchungen waren dann natürlich seriöser und solche Späße, wenn es sie denn gegeben hat, verboten sich von selbst.
Urinprobe, Blutabnahme |
Orthopädie |
Bewegungsapparat: Status der Füße (Senk-oder Spreizfuß), Zustand der Wirbelsäule, besonders wichtig: Sitzgröße |
allgemeine Untersuchungen: Lunge, HNO usw. |
Akkustische Tests |
alle möglichen nichthörbaren Geräusche mussten gehört werden |
Zahnarzt |
gut, wer einen guten Zahnklemptner sein eigen nennen konnte und den auch relativ gut kannte. „Steinbrüche“ wurden hier gnadenlos aussortiert. Wer hatte, sollte gutsarnierte Zähne haben, das Problem waren z.B. Luftblasen unter Füllungen, die dann in der Höhe erheblich für Schmerzen sorgen konnten. |
Sehr umfangreiche Augentests |
Diese nahmen aus meiner Sicht neben den Psychotests den größten Teil ein. |
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Psychologische Tests |
Sehr umfangreiche Test unseres Verstandes folgten, auf mehrere Tage verteilt. Dabei spielten insbesondere eine Rolle: |
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EKG-Untersuchungen |
Mit und ohne Belastungen wurden lange EKG-Aufzeichnungen gemacht und ausgewertet. |
EEG-Untersuchung |
Für die Untersuchung unserer Gehirnströme wurde gößere Apparaturen genutzt. Zum Teil wurden wir auch vor ein Stroboskop gesetzt, und unsere Hirnströme während der Lichtblitze gemessen. |
Drehstuhl |
Mit geschlossenen Augen wurde man auf einem Stuhl (elektrisch!) gedreht, 15 Minuten lang. Dabei war auf ein akkustisches Zeichen hin der Kopf zu neigen, immer links-rechts, ca. alle 2 Sekunden. Die erlebte Bewegungsrichtung kam ungefähr einer Schaukel nahe, die man 45° aus der Richtung gedreht hat. Wem schlecht wurde, dem stand die Schwester mit einer Schüssel zur Seite. |
Sporttest |
Für den geübten GST-und Schulsportler sicherlich kein ernsthaftes Problem; 3000m-Lauf, diverse Übungen an Geräten (Pferd, Barren), Gleichgewichtsübungen wie Kniebeugen mit Drehungen usw. |
Unterdruckkammer |
Die Unterdruckkammer-Untersuchung wurde meist am letzten Tag durchgeführt. War man bis dahin noch im Rennen, waren die Chancen auf die medizinische Zulassung zur Fliegerlaufbahn sehr groß. In der Unterdruckkammer wird ein Luftdruck simuliert, der einer Höhe von 5000m entspricht. Nach dem „Start“ sinkt der Druck rapide, der Druckausgleich passiert ca. alle 400m Höhenunterschied alleine im Ohr… auf der Höhe 5000m wurde dann eine Zeitlang (ca. 20 min) gehalten. Die Luft wird dann mächtig dünn und trocken, man muss seine Lunge mächtig anstrengen und tiiiiiief Luft holen, um bei klarem Verstand zu bleiben. Nach der Haltezeit in 5000m ging es mit ca. 15-20m/s wieder abwärts, man konnte gar nicht so schnell schlucken. Mitte der 1980er Jahre, mit dem Neubau der Humanzentrifuge, gab´s auch eine neue U-kammer. Größer, freundlicher als die alte, aber auf Grund der technischen Möglichkeiten auch eine Tick härter. Hier wurde jetzt jeder Insasse „verkabelt“, für die Abnahme von verschiedenen Daten. |
(vielen Dank an Thomas Hitschold (www.nva-flieger.de) für die ergänzenden Erinnerungen) |
Ergebnis
Als Mitte der 1980er Jahre der Personalmangel bei den Fliegerkräften noch größer wurde, ging man von der bisher gängingen Praxis ab, jedem Tauglichen zu sagen, wofür er tauglich war. Es gab nämlich nicht Wenige, die bei der Diagnose „hubschrauber-/transportfliegertauglich“ keinen Bock mehr hatten, das Fliegen zu lernen, weil es halt kein Cockpitplatz mit Nachbrenner war. Deshalb gab es dann nur noch die Info „flugtauglich“. In welchem Fluggerät, das wurde erst später gelüftet.
Das Ende vom Lied war: Ich hab alles irgendwie überstanden und war einer von 11 Leuten (in Worten ELF), die erstens Freitag nach Hause fahren durften und zweitens in einer der o.g. Kategorien tauglich waren. Von den elf Übriggebliebenen waren drei jagdfliegertauglich und jeweils vier hubi- und transportfliegertauglich. Zu Beginn der Woche waren´s mal rund hundert… Mit dieser Untersuchung hatte ich fast die Hälfte der Miete drin, es folgten im Jahr drauf noch ein Nachuntersuchung und dann fuhr ich ja schon in Uniform zur jährlichen „FMK“ (die dann nur noch drei Tage dauerte). Aber bis dahin sollten noch ein paar Monate ins Land gehen.