Knapp zwei Monate sind seit dem letzten Flugdienst in Drewitz vergangen.
Ich war seit dem 04.09.1989 in Bautzen beim FAG-25 als Fluglehrer und hatte in der Zwischenzeit die theoretische „Rückschulung“ auf die L-39 abgeschlossen.
An die fast tägliche Fahrerei von Drewitz nach Bautzen (ca. 90 min) hatte man sich gewöhnt, wobei die Fahrten im Trabbi immer ein Erlebnis waren.
Mitte Oktober wurden alle Ehemaligen des JG-7 nach Drewitz zurückkommandiert.
In der nächsten Woche bekamen wir Gelegenheit, uns intensiv auf den Appell zur offiziellen Auflösung des Geschwaders vorzubereiten. Diese Vorbereitung bestand zu 90% darin, in Stiefelhosen und Stiefeln die Vorstartlinie zu „putzen“, d.h. Exerziertraining vormittags und nachmittags. Schließlich sollten wir uns vor den Unmengen Journalisten, Kamerateams internationalen Beobachtern und Honoratioren nicht blamieren.

Am 25.Oktober 1989 treten wir dann ein letztes Mal im alten Bestand vor den 48 zur Abrüstung stehenden MiG´s an (unsere waren es ja nicht, die flogen inzwischen woanders rum).
11:50 Uhr marschiert das Fahnenkommando mit der Truppenfahne ein.
Nach der Meldung, der Begrüßung durch den Chef der LSK/LV und dem Abspielen der Nationalhymne wird das Geschwader mit dem (letzten) Bestentiltel ausgezeichnet.
Es folgen die Ansprachen der örtlichen Honoratioren.
Der Chef der LSK/LV, Generaloberst Reinhold, verliest den Auflösebefehl.
Anschließend marschiert das Geschwader an der Truppenfahne vorbei, wobei zumindest die Piloten in Gedanken bei den MiG´s auf der anderen Seite waren.

Damals ahnte noch niemand, dass dies nur der Anfang vom Ende war, wir die ersten, die den gewohnten Steuerknüppel aus der Hand geben mussten. Ein knappes Jahr später standen alle Fliegergeschwader der NVA vor ihrem letzten Flugdienst.

In ihrer Ausgabe 45/1989 schreibt die NBI („Neue Berliner Illustrierte“) unter der Überschrift „Die Abrüstung bekommt Flügel“ über den Tag der Auflösung des Jagdfliegergeschwaders 7

Zitat:
Auf dem Flugplatz des NVA-Jadgfliegergeschwaders „Wilhelm Pieck“ in Drewitz am 25.Oktober (1989).
Männer in schwarzen Kombinationen und weißen Helmen stehen an der Vorstartlinie vor einer MiG-21. Die Zivilbeschäftigten und Armeeangehörigen des Fliegeringenieurdienstes haben heute einen ungewöhnlichen Befehl zu erfüllen. Nicht wie sonst sind sie angetreten, um das Jagdflugzeug vor dem Start zu kontrollieren. Nein, an diesem tag hantieren sie mit Schweißgeräten. Vor den Augen der Weltpresse zerlegen sie die MiG-21 mit der taktischen Nummer 462. Nach wenigen Minuten ist die Verbindung Tragflügel-Rumpf zerstört. Abgetrennte Seitenleitwerke und Höhenruder fallen krachend auf den Beton der Rollbahn.

Vor knapp zwei Monaten hat unser Bildreporter diese Maschien schon einmal fotografiert – bei ihrem letzten Flug. Am 31. August mussten sich die Piloten des Drewitzer Geschwaders von ihren Jagdflugzeugen verabschieden, jetzt sind die Unteroffiziere und Offiziere des ingenieurtechnischen Personals an der Reihe. Oberstleutnant Karl-Heiz John, der die Arbeiten an diesem Tag leitet, sieht die Demontage auch mit einem weinenden Auge: „Die Einsatz- und Gefechtsbereitschaft dieser Flugzeuge ist meine Lebensaufgabe. Mir blutet das Herz, wenn ich daran denke, dass sie jetzt verschrottet werden.

Das Jagdfliegergeschwader „Wilhelm Pieck“ ist aufgelöst worden. Die Truppenfahne des traditionsreichen Geschwaders, aus dem unter anderem so verdienstvolle Armeeangehörige wie der Chef der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/LV) Generaloberst Wolfgang Reinhold und Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn hervorgegangen sind, wurde übergeben. 50 Jagdflugzeuge vom Typ MiG-21 werden nun, wie im Januar angekündigt, außer Dienst gestellt und verschrottet. „Es sind nicht irgendwelche veralteten Maschinen, sondern Jagdflugzeuge, von denen fast die Hälfte die Kennziffern eines „Jadgflugzeuges der ausgezeichneten Qualität“ erfüllt“, erläutert Generalmajor Erhard Telle, Chef des Fliegeringenieurdienstes der LSK/LV der DDR. „Einige Flugzeuge nutzen wir zur Traditionspflege. Hauptbestandteile werden für die Ausbildung des technischen Personals gebraucht. Die Triebwerke lassen sich als Ausblasgeräte in Kraftwerken verwenden. Abnehmer der hochwertigen Schrottteile ist das Kombinat Matallaufbereitung Halle.“

Ein Flugzeugteil hat schon jetzt einen besonderen Platz im Haus des Friedensrates der DDR gefunden: Der Steuerknüppel der Maschine 462. Professor Dr.Dr. Günter Drefahl nahm ihn im Beisein von Vertretern der Friedensbewegung aus 13 Ländern entgegen. Diese symbolische Geste konnte auch der aktive Bundeswehrmajor Franz Meyer beobachten, der sich mit 200 Berufssoldaten der Darmstädter Arbeitsgruppe „Signal“ für Frieden und Entspannung engagiert. „Durch die sichtbaren, einseitigen Abrüstungsschritte der DDR seien die Wiener Verhandlungen erst richtig in Gang gekommen“, sagte er mir in einem Gespräch. „Unter den gegebenen Umständen muss sich unsere Regierung überlegen, ob bestimmte Rüstungsprojekte realisiert werden. Da meine ich vor allem den geplanten Jäger 90 und neue Panzerabwehrhubschrauber.“

Die LSK/LV der DDR verfügen nun über 50 Kampfflugzeuge weniger. Fachleute wissen, welchen Kampfwertverlust das bei einer Gesamtzahl 307 Maschinen bedeutet. Deshalb sehen wir die Auflösung des Jagdfliegergeschwaders mit den Worten von Generaloberst Wolfgang Reinhold nicht nur als „Geste des guten Willens“, sondern auch als „Zeichen realer Abrüstung seitens der DDR, als eine Aufforderung an die NATO-Staaten zu ähnlichen Schritten“


Zitat Ende